Hallo da draussen!
Bei meinen Eltern habe ich mich vor zwei Jahren geoutet, nachdem ich mich klar für die Transition entschieden habe und sie damit quasi vor vollendete Tatsachen gestellt, indem ich nur angekündigt habe, was in nächster Zeit alles an Veränderungen ansteht und weil ich ja ihre Biografie quasi mit-ändere: Tochter --> Sohn.
Ich liess ihnen die Wahl, ob sie sich jetzt von mir als "Tochter" verabschieden wollten, oder ob sie mich als Sohn kennenlernen und akzeptieren möchten.
Gab Links zu Foren, zu Informationen und und und dabei. Sagte ihnen, mein Onkel weiss es auch, damit sie jemanden hatten, mit dem sie darüber reden konnten.
Darauf kam dann nach etwa einer Woche ein sehr diplomatisches "Wir haben damals ja keinen Einfluss auf Dein Geschlecht gehabt und möchten auch heute keinen nehmen." so nach dem Motto "Damit möchten wir nichts zu tun haben."
Klar gab es auch weiterhin Kontakt, aber an der Oberfläche. Oma lebte bei ihnen im Haus und "die ist zu alt, die versteht das nicht mehr", da musste ich die Tochter spielen. Was sie nicht wussten, ich hatte es Oma bereits am Telefon zu erklären versucht, aber sie hatte alles abgeblockt und wollte es nicht wahrhaben. Nungut, so nahe stand sie mir nicht (nicht so nah wie mein Opa, der viel zu früh verstarb), also war es mir nicht so derbe wichtig.
Telefonieren sollte ich dann aber nicht mehr mit ihr, seit der Stimmbruch eingesetzt hatte.
Darum war Weihnachten 2008 mein letzter Besuch bei meinen Eltern. Bis zu Omas Beerdigung.
Danach habe ich meine Eltern zu meiner Hochzeit eingeladen. Sie lehnten ab, weil ich jetz ja "nicht nur trans, sondern auch noch schwul" war. Das war ihnen zu hoch.
Der hat gesessen. Auf die Idee war ich ja gar nicht gekommen. Wenn man trans so locker wegsteckt, dann hat man doch mit schwul erst recht kein Problem - dachte ich.
Irgendwie war mir danach, eine Geschichte zu schreiben. Sie wollte raus. Die habe ich dann meinen Eltern geschickt.
Die Vorgeschichte war eben, damit ihr in etwa einschätzen könnt, auf welchem Stand sie da waren.
Ich kriegte postwendend eine Rückmeldung, wie sie es aufgenommen haben. Durch diese Geschichte ist es jetzt möglich geworden, dass ein Austausch stattfindet. Auch über ganz andere Dinge, über die vielen alten Reizthemen etc.
Darum möchte ich sie hier zur Verfügung stellen.
Obwohl teilweise von wahren Begebenheiten beeinflusst, ist diese Geschichte frei erfunden.„Herr Mayer, hörn Sie zu?“
Otto war kurz eingenickt und schwieg betreten, sah aber den Professor jetzt sehr aufmerksam an.
Wie peinlich! Die erste Vorlesung im neuen Semester und gleich pennte er weg.
So wahnsinnig spannend war die Geschichte der Betriebssysteme wirklich nicht, also schweiften seine Gedanken bald wieder ab. Ob sein Schatz schon aufgestanden war?
Nachmittags wollte Otto noch einen Anruf tätigen. Davon abgesehen würde er genug Zeit haben, im Buch nachzulesen, was er verpasst hatte.
„Mayer, schönen guten Tag, ich möchte ein Auto reservieren. Von Hamburg nach Hamburg, übers Wochenende 12. bis 14. November.“
Otto freute sich auf das gemeinsame Wochenende am Meer mit seinem Verlobten. Hannes hatte keinen Führerschein und bewunderte ihn, wenn er fuhr. Otto selbst fuhr sehr gerne Auto und auch gern schnell, wenn auch beides selten. Gelegentlich einen Mietwagen zu nehmen war für sie beide einfach wirtschaftlicher als ein eigenes Fahrzeug zu unterhalten. Zudem war es bequemer, wenn man sich um all die lästigen Eigentümerpflichten nicht selbst kümmern musste.
Nur ein Anruf bei der Autovermietung und man war vorübergehender Besitzer eines Kraftwagens.
„Gern, wie war der Name nochmal?“
„Otto Mayer. Mit A und Üpsilon.“
„Ja, Frau Otto-Mayer, und der Vorname?“
Hatte er undeutlich gesprochen?
„HERR Mayer. Mein VORname ist OTTO.“
Spätestens jetzt war er sich sicher, dass es nicht auf eine eventuell am anderen Ende schlechtere Verbindung zu schieben war.
„Achso, Entschuldigung. Frau Herrmayer, wie ist Ihr Vorname?“, flötete es.
„HERR – OTTO – MAYER!“ , korrigierte er überdeutlich und unnötig laut, „Anrede: Herr! Nachname: Mayer! Vorname: Otto!“
„Oh, Entschuldigung. Ich verstehe, Sie fahren also gar nicht selbst. Wen darf ich als Fahrer eintragen?“
„Darf ich mitspielen?“, hatte Otto gefragt. „Wir spielen nicht mit Mädchen!“ hatte der grössere Junge gerufen. Otto hatte daraufhin gesagt: „Ich bin kein Mädchen!“ Er hatte doch nur mit den anderen Jungs Fussball spielen wollen . „Natürlich bist Du eins! Jungs ziehen keine Röcke an. Wer einen Rock anhat, ist auch ein Mädchen.“ Die anderen hatten gelacht und Otto hatte an sich herabgesehen und trotz seiner seltsamen Bekleidung darauf beharrt, ein Junge zu sein.
Von da an brachten ihn keine zehn Pferde mehr dazu, in die Schule einen Rock anzuziehen.„Doch, ich fahre selbst.“, sagte er jetzt ganz ruhig, „Otto Mayer, der bin ich.“
Stille in der Leitung. Er konnte das Tippen im Hintergrund hören.
„Gut, dann gebe ich Ihnen jetzt die Reservierungsnummer, Herr Mayer.“
Er notierte sie, bedankte und verabschiedete sich und legte auf.
Unschlüssig was noch zu tun sei, sah Otto auf die Uhr. Es war erst halb vier. Hannes würde wie üblich noch bis zum späten Abend im Büro sein. Otto legte zwar keinen gesteigerten Wert darauf, vor die Tür zu gehen, aber das Brot war alle und Hannes würde nachher welches essen wollen. Also machte er sich auf den Weg zum Bäcker.
Er brauchte nicht lange zu überlegen, denn vom Angeschobenen war noch etwas da, das war seine Lieblingssorte.
„Die Dame?“
Otto sah sich um: Er stand als einziger an der Theke. Die Verkäuferin sah ihn direkt an.
„Die Dame“, wiederholte sie, „Sie wünschen?“ Ja, nenn mich nicht 'Dame', dachte er.
„Das Angeschobene bitte. Am Stück.“, bestellte er.
„Sonst noch einen Wunsch?“ Den kannst Du mir eh nicht erfüllen. „Danke, nein.“
„Mädchen, Mädchen!“hatten sie laut gerufen und mit dem Finger auf ihn gezeigt. Otto schämte sich. Sie hatten es herausgefunden.Er klemmte sich das Brot unter den Arm und verliess den Laden. Er zündete sich eine Zigarette für den Weg an und wandte sich zum Gehen.
„Kollege, haste mal Feuer für mich?“, sprach ihn ein Passant an.
Otto hatte das Feuerzeug noch nicht weggesteckt und reichte es mit einem Lächeln weiter. „Klar.“
Das Leben ist schön.
Vier Uhr. Otto war wieder zu Hause angekommen und seine Blase meldete sich langsam. Es war seit dem frühen Morgen das erste Mal, aber es hatte sicher noch eine, vielleicht auch zwei Stunden Zeit. Otto war gut im Training. Er hatte sich aus gutem Grund angewöhnt, tagsüber einzuhalten. Er ging nicht auf öffentliche Toiletten, wenn es sich irgendwie vermeiden liess. In Schulen nicht und auch nicht in der Uni, wo er vormittags bei der Vorlesung war.
Otto hatte dringend gemusst. Er musste sich beeilen, die anderen suchten ihn bestimmt schon. Er war vor ihnen weggelaufen.
„Das ist das Mädchenklo, da dürfen wir nicht rein.“
„Ach was, das merkt doch keiner.“ Der dicke Serkan war der Mutigste und hatte seine Kumpane überredet. Er stieg in der Nachbarkabine auf den Klodeckel, von da auf den Klokasten und lugte so über den Rand der Kabinentrennung.
Otto sass da mit heruntergelassenen Hosen und versuchte notdürftig, seine Scham zu verdecken. Aber es war schon zu spät.
„Hab ichs doch gewusst, das isn Mädchen!“Er war verdammt nochmal kein Mädchen, keine Frau und erst recht keine Dame. Er war damals ein Junge gewesen und heute ein Mann. Er war es wirklich satt.
Sein Körper sah – wohl auch weil er noch keine Operationen gehabt hatte – noch arg weiblich aus, und deswegen konnte er seinen Mitmenschen für eine versehentliche falsche Anrede keinen Vorwurf machen. Ihm würde es ja genauso gehen mit einer Fehleinschätzung auf den ersten Blick.
Trotzdem machte es ihn wütend und traurig, wenn er nicht wie ein Mann behandelt wurde, sondern wie eine Frau, die ein Mann sein will. Kommolitonen brachten es fertig, ihn mit 'Otto' anzusprechen, in der dritten Person über ihn aber von einer 'sie' zu reden. Und das, obwohl er sich gleich als Otto bei ihnen vorgestellt hatte.
Ein Tutor hatte auch einmal versehentlich 'sie' gesagt; sich dann aber sofort korrigiert und selber nicht verstanden, wie er darauf gekommen war, und entschuldigte sich sofort. Da diesem die Situation noch unangenehmer war als Otto, tat er ihm schon wieder leid.
Mittlerweile hatte er alle Papiere auf 'Otto Mayer' und konnte sich damit ausweisen, aber das reichte nicht aus.
Otto bekam erst seit einem Jahr Testosteron und die Hormone brauchten ihre Zeit, bis sie Wirkung zeigten. Eine normale, männliche Pubertät dauert etwa fünf Jahre. Das hatte sein Arzt ihm auch gesagt.
Kommt Zeit, kommt Bart. Er musste nur Geduld haben.
„So, Du willst ein Junge sein?“ Otto schwieg. „Mädchen schlägt man nicht.“, erklärte Serkan. „Also suchs Dir aus: Bist Du ein Junge oder ein Mädchen?“
„Junge.“ antwortete Otto trotzig. „Dann musst Du auch einstecken wie ein Junge.“
Von da an verfolgten die vier Otto jeden Tag in der Pause, schlugen, bissen, tritten und bespuckten ihn. Das war es ihm wert, wie ein Junge behandelt zu werden. Also lag er zusammengekrümmt auf dem Boden und wartete, bis sie von ihm abliessen.Otto wusste nicht so recht, was er in sein Tagebuch schreiben sollte.
Heute war ein ganz normaler Tag gewesen. Doch, da fiel es ihm wieder ein. Der nette Mann, der ihn um Feuer gebeten hatte. Also schrieb er:
- Vorlesung besucht
- Auto reserviert
- Brot geholt
- Passing gehabt
© Fremde Angst 2010
Wiki erklärt, was in diesem Zusammenhang mit "Passing" gemeint ist:
http://de.wikipedia.org/wiki/Passing_%28Geschlecht%29 Falls ihr das Vollzitat rauseditieren wollt, hier der Link:
http://fremdeangst.myblog.de/fremdeangst/art/6966337/Frau-outside