Transsexualität-NIBD

Autor Thema: Geschwister  (Gelesen 5616 mal)

Offline Emma

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Geschwister
« am: 19.Jul 2009, 01:22 »
Hallo!
Ich weiß nicht recht, ob sich für mein Anliegen ein neues Topic "lohnt". Andererseits bin ich auf dieses ja nun wiedergeborene Forum in genau dieser Sache gestoßen, bzw. habe auf einer anderen Seite die Neuankündigung gelesen. Wie auch immer. Worum es eigentlich geht: Ich selbst bin nicht von Transsexualität betroffen, sondern mein Bruder, der jetzt - naja, natürlich - meine Schwester ist. Dabei geht es mir allerdings nicht um eine Diskussion darum, wie ich damit nun konkret umgehen soll. Ich habe ein wenig Zeit gebraucht, um mich an die Idee zu gewöhnen, aber das ist mittlerweile geschehen.
- Ich werde noch einen kleinen Umweg nehmen müssen, bevor ich zur eigentlichen Frage komme -
Tatsache ist, daß sich nach ihrem Coming Out einige zentrale und schwerwiegende Missverständnisse entwickelt haben. Ich habe in einem Telefongespräch davon erfahren, das nun schon fast ein Jahr zurück liegt. Ich bin nicht der Meinung, dass ich zögernd oder zurückhaltend oder irgendwie negativ reagiert hätte; es war ganz im Gegenteil ein gutes Gespräch, das mir auch Nähe vermittelt hat. In der Folgezeit aber habe ich mich nicht gemeldet, wie sie sich auch nicht gemeldet hat. Ich würde sagen, dass wir immer ein gutes Gefühl füreinander hatten, obwohl wir eigentlich nie viel miteinander telefoniert oder sonstwie kommuniziert haben; wir wohnen nicht in derselben Stadt. Es gab einige kleinere von der Transsexualität unabhängige Dinge, aber im Großen und Ganzen habe ich mir schlicht nichts dabei gedacht, keinen Kontakt zu pflegen. Gute fünf Monate später - ja, es war eine lange Zeit, aber für uns eigentlich keine ungewöhnlich lange - erfuhr ich über Dritte, dass mir dieses Nichtmelden sehr übel genommen würde. Wieder gedankenlos habe ich nun zum Telefonhörer gegriffen, mit der bloßen Absicht, meine Unterstützung zu versichern. Dieses Gespräch hat nicht funktioniert und zu besagten Missverständnissen - eben auch dem Vorwurf des Zögerns und damit Ablehnens - und einer langen, im Prinzip auch noch andauernden Funkstille geführt. Und jetzt kommt meine eigentliche Frage: Ich würde gern wissen, wie stark die psychologische Therapie sich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen des Betroffenen auswirkt. Klar ist mir natürlich, daß gewisse Menschen auf der Strecke bleiben müssen, es ist eben notwendig, auch egoistisch zu sein. Mir hat man eine psychologische Therapie im Falle von Transsexualität mal so erklärt, dass es notwendig ist, die unter all den Eindrücken des Lebens im falschen Körper entwickelten Verhaltensweisen und Charakterzüge zuerst abzulösen, um sozusagen die echte Person zum Vorschein zu bringen. Stimmt das? Wie funktioniert so eine Therapie, wenngleich ich mir natürlich im Klaren darüber bin, daß die bei jedem und jeder anders aussieht. Die zweite Frage betrifft den Stellenwert der eigenen Transsexualität. Zweifellos muss sie eine zentrale Rolle spielen. Aber wie empfinden es nun Transsexuelle selbst? Gibt es noch andere Themen? Werden alle zwischenmenschlichen Belange zwangsläufig damit in Verbindung gesetzt, selbst wenn sie damit rein gar nichts zu tun haben? Natürlich ist das von Person zu Person verschieden, aber gibt es soetwas wie eine Tendenz?
Ich weiß, dass diese Fragen etwas naiv sind. Ich hoffe trotzdem, daß vielleicht die eine oder der andere Lust hat, zu schreiben. Danke. Emma

Offline selfmademan

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Re: Geschwister
« Antwort #1 am: 19.Jul 2009, 13:11 »
Und jetzt kommt meine eigentliche Frage: Ich würde gern wissen, wie stark die psychologische Therapie sich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen des Betroffenen auswirkt. Klar ist mir natürlich, daß gewisse Menschen auf der Strecke bleiben müssen, es ist eben notwendig, auch egoistisch zu sein. Mir hat man eine psychologische Therapie im Falle von Transsexualität mal so erklärt, dass es notwendig ist, die unter all den Eindrücken des Lebens im falschen Körper entwickelten Verhaltensweisen und Charakterzüge zuerst abzulösen, um sozusagen die echte Person zum Vorschein zu bringen. Stimmt das? Wie funktioniert so eine Therapie, wenngleich ich mir natürlich im Klaren darüber bin, daß die bei jedem und jeder anders aussieht.

Hallo Emma,

ich versuche einfach mal aus meiner Erfahrung heraus zu antworten, kann aber auch nur für mich selber sprechen.

Hm, was heißt Verhaltensweisen und Charakterzüge ablösen, mir selber ist es nie so vorgekommen, als daß man versucht hätte, mich in meinem Verhalten zu ändern. Hätte ich auch ganz übel genommen. Denn ich entscheide selber, wie ich mich wann, wie und wo verhalte. Falls aber bei Dir damit gemeint war, daß man erstmal den Punkt erreichen muß, mit seiner Vergangenheit Frieden zu schließen, sich selber als ganzen Menschen inkl. seiner Vergangenheit anzunehmen und sich selber lieben zu lernen, dann stimme ich zu. Es hat bei mir lange gedauert, bis ich meine Vergangenheit annehmen konnte und mich nicht mehr für sie geschämt habe. Bis ich sie als ein Teil von mir angenommen habe. Denn meine Vergangenheit macht mich zu dem Menschen, der ich heute bin, ohne diese wäre ich nur ein halber Mensch und mittlerweile bin ich verdammt stolz darauf, mehr erfahren zu haben, als es jedem Biomann möglich wäre. (Bin FzM)

Aber es hat wie gesagt lange gedauert. Erst nachdem ich die weiblichen Innereien sowie die weibliche Brust weg hatte, konnte ich mich so langsam damit arrangieren, zumal ich dann mit der Zeit auch immer mehr Abstand zum Thema TS bekommen habe und vieles aus einem anderen und neuen Blickwinkel betrachten konnte.

Solange man für sich selber den Eindruck hat, daß nichts voran geht, auch wenn man schon in Therapie ist, sind wohl die meisten von uns ziemlich überempfindlich und bekommen vieles sehr oft in den falschen Hals. Man vermutet dann einfach hinter jedem Busch einen Mann mit Messer. Mir ging es so. Ich habe jede Kontaktstille, auch wenn sie im nachhinein nur Zufall war, immer als Ablehnung meiner Person, meiner TS empfunden und das tat verdammt weh, man kämpft so sehr um Akzeptanz seiner "neuen" Identität und dann sowas. Dementsprechend habe ich reagiert und auch oft auf sturr gestellt. Ich war halt so verletzt, daß ich erstmal nichts mehr mit dieser Person zu tun haben wollte. Reiner Schutzmechanismus. Auch wenn es im nachhinein völlig unbegründet war.

Und erst als ich selber bissel Abstand von der Sache bekommen habe, habe ich auch wieder die Kraft gefunden, den ein oder anderen Kontakt wieder langsam aufzubauen und evtl. Mißverständnisse aufzudecken und beiseite zu räumen. Aber während der Transition hatte ich einfach nicht die Kraft dazu. Sie verschlingt so unendlich viel Energie, daß man die anderen Dinge nur noch so eben am Leben erhält. Bei mir war es z.B. der berufliche Bereich. Ich habe dort nur soviel Energie reininvestiert, daß mich das AA nicht irgendwie gesperrt oder die Zahlungen verringert hat und auch sonst mein alltägliches Leben unabhängig von TS noch irgendwie weiterlief. Ok, ich habe fast zeitgleich zur Transition eine Umschulung gemacht, diese auch bestanden, tat mir selber irgendwo auch gut, weil ich so erstens nicht auf dumme Gedanken gekommen bin und zweitens nicht die Möglichkeit hatte mich totzugrübeln und so mein Hirn zu zermartern. Aber mehr Energie hätte ich dort nicht investiert, weil die Transition schon sehr viel davon eingefordert hatte. Aber wenn man immer sein Ziel und Etappenziele vor Augen hat, und weiß wofür man den ganzen Mist durchsteht, dann schafft man auch das.  :)

Die zweite Frage betrifft den Stellenwert der eigenen Transsexualität. Zweifellos muss sie eine zentrale Rolle spielen. Aber wie empfinden es nun Transsexuelle selbst? Gibt es noch andere Themen? Werden alle zwischenmenschlichen Belange zwangsläufig damit in Verbindung gesetzt, selbst wenn sie damit rein gar nichts zu tun haben? Natürlich ist das von Person zu Person verschieden, aber gibt es soetwas wie eine Tendenz?
Ich weiß, dass diese Fragen etwas naiv sind. Ich hoffe trotzdem, daß vielleicht die eine oder der andere Lust hat, zu schreiben. Danke. Emma

Hm, ich denke, nun habe ich diese Frage schon automatisch oben beantwortet. Ist halt alles irgendwie miteinander verknüpft. Sicherlich gibt es auch andere Themen, mit denen man sich beschäftigt, aber je nach Phase der Transition stehen sie entweder eher hinten an oder liegen wieder eher im Vordergrund, es ist auch von Person zu Person verschieden. Bei mir war es eher ein auf und ab. Wenn ich mal keine Klausuren schreiben mußte und somit nicht so intensiv lernen mußte, habe ich mich wieder mehr auf den TS-Weg konzentriert. Mein Ziel war es, das alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen, was ich auch geschafft habe, aber es war schon kräftezehrend. Und in den Phasen, wo TS wichtiger für mich war als alles andere, standen die anderen Dinge natürlich hinten an.

Aber ich bin auch an diesem Weg gewachsen und habe erkannt, daß ich viel mehr Kraft und Durchhaltevermögen besitze als so manch anderer Mensch. Manch anderer wäre an meinem Weg (und ich habe sehr viel durchmachen müssen und mich immer wieder an meinem eigenen Haarschopf aus der Scheiße ziehen müssen - weil ich in den wichtigen Momenten niemanden hatte, der mir beiseite stand) regelrecht zerbrochen.

Mittlerweile habe ich eine so große Gelassenheit entwickelt, daß es mir einfach nur noch shitegal ist, was andere über mich denken, hauptsache ich bin glücklich. Auch das hat bei mir gedauert, bis ich ein gesundes Maß an Egoismus entwickeln konnte.

Was Beziehungen betrifft: Es hat nur den Anschein, als ob sie damit nichts zu tun haben, aber sie haben eine Menge damit zu tun (für einen selber). Man kann sie von TS nicht ausschließen. Denn ich als Mensch lebe ja, ich bin ja da. Und ich möchte ja in jeder zwischenmenschlichen Beziehung, egal wie oberflächlich oder tief sie sein mag, als der akzeptiert und wahrgenommen werden, der ich im Herzen bin. Solange der / die TS kein gutes Passing hat und andere Menschen einen noch von früher kennen, wird das immer ein Thema sein. Neue Beziehungen, die erst mit beginnendem Passing bzw. nach fortschreitender oder vollendeter Transition beginnen ohne Kenntnis der jeweiligen Vergangenheit, haben einen ganz anderen Stellenwert. Für mich persönlich sind die Beziehungen wichtiger als alles andere, denn dort werde ich unvoreingenommen als Mann wahrgenommen und akzeptiert und einfach stinknormal behandelt. TS ist dort kein Thema (mehr) und ich werde den Teufel tun, mich dort zu outen. - Ich lebe mittlerweile weitgehend "deep stealth" und genieße es, in der "Normalität" angekommen zu sein und einfach mein Mann-sein ohne Hindernisse (aus)leben zu können. Ok, ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, daß ich meinen "Wissensvorteil" aufgrund meiner Vergangenheit nicht nutzen würde, denn das tue ich und zwar schamlos, aber ich habe gelernt, es so gut zu verpacken, daß niemand mehr irgendwas von meiner Vergangenheit vermutet.  :)

Was Deine Schwester betrifft, versuche doch einfach mal ihr einen Brief zu schreiben, den kann sie nicht einfach so "auflegen" wie einen Hörer und dort das Mißverständniss zu klären. Briefe können manchmal wahre Wunder bewirken, aber eine Garantie gibt es leider auch dort nicht.

Jetzt habe ich sehr viel geschrieben, aber das Thema ist so komplex, daß es mit einem einzigen Satz nicht getan ist. - Für Deine Schwester wünsche ich Dir alles Gute und viel Glück und die Kraft, den Weg durchzustehen.

Offline tanjuscha

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Re: Geschwister
« Antwort #2 am: 19.Jul 2009, 13:30 »
Hallo Emma,

ich wohne auch so weit von Eltern und anderen Verwandten entfernt, dass man sich oft nur einmal im Jahr sieht, falls überhaupt. Deshalb denke ich kann ich den Hintergrund Deiner Situation vielleicht verstehen.

Ich möchte Dir einfach ein paar Dinge aus meiner persönlichen Sicht schildern, die Dir vielleicht beim Verständnis des Verhaltens Deiner Schwester helfen könnten.  Ich weiß natürlich nicht, wie ihr Outing, ihre Psychotherapie, die eventuelle Hormontherapie und Bartentfernung etc. verliefen,  aber ich vermute mal dass möglicherweise sehr, sehr  viel passierte, sowohl in ihr selbst als auch mit dem ganzen organisatorischen Krams, um den man sich in solch einer emotional schwierigen Situation als TS auch noch kümmern muss (und nebenbei möglichst den Beruf behalten usw.). Da können einem Wochen schnell wie Monate vorkommen und Monate wie Jahre. Es passiert einfach so viel in so kurzer Zeit.

Warum sie nicht mehr Kontakt zu Dir gesucht hat, weiß ich natürlich nicht. Ich habe in der Zeit sehr viel Kontakt gesucht, musste reden, reden und noch mehr reden. Dabei kam ich mit manchen Menschen nicht (mehr) klar – Kontakte brachen ab oder liefen nur noch auf Sparflamme weiter – andere intensivierten sich – teils bis heute, teils nur für eine bestimmte Zeit. Selber war ich in dieser Zeit (und bin es wohl immer noch) sehr, sehr empfindlich. Vorher war ich das auch, allerdings war ich so still und zurückgezogen, dass es wohl kaum jemand merkte. Vielleicht hatte sie Dich damals vor fast einem Jahr angerufen und möglicherweise damals schon etwas missverstanden. Keine Ahnung. Während der Transition (dem Rollenwechsel) erleben manche so viel Ablehnung, dass das alleine schon wieder Grund genug für eine Psychotherapie sein kann. Persönlich ist die Korrekte Anrede (Name, Geschlecht) in der Zeit natürlich unheimlich wichtig. Ein einziger Versprecher kann schnell als Missachtung ausgelegt werden.

Ich denke Du kannst nur versuchen ihr zu schildern was Du hier geschrieben hast. Wenn Sie Dir Ablehnung vorwirft, ohne dass das so ist sage und schreibe Ihr das bitte. Ich würde es ein paar mal versuchen – Du kannst es ihr nur anbieten. Ob sie es annimmt ist ihre Sache.

Jetzt zu Deiner Frage nach der Therapie: Die ist sicher individuell bei jeder anders. Bei mir ging es um Selbsterkenntnis und anschließend um die Lebbarkeit meines Lebens. Kann ich das umsetzen und mein eigenes Leben nach meinen Vorstellungen gestalten? Darf ich einfach so glücklich sein?
Ich weiß nicht, ob ein Therapeut die „falschen“ Verhaltensweisen und Charakterzüge ablösen könnte, unter denen die „wahren“ liegen. Dieses Konzept ist mir persönlich zu Fremdbestimmt. Es währe natürlich vielleicht ganz lustig gewesen, wenn meine Thera mir Schminktipps gegeben hätte *lol*, aber auch wenn ich eine Verhaltenstherapie gemacht habe, hat sich doch mein Verhalten von selber so geändert, dass ich es jetzt passend empfinde.

Zum Stellenwert: Leider ist man gezwungen dem Thema eine Zeitlang einen wie ich finde viel zu großen Stellenwert im Leben einzuräumen. Ich hatte oben schon einige der Organisatorischen Dinge aufgeführt. Dazu kommt natürlich, die Suche nach den geeigneten Ärzten und Therapeuten, die selten so qualifiziert sind, dass man nicht auch noch z.B. die Methoden des eigenen Endokrinologen selber überprüfen müsste, der ewige Streit mit der Krankenkasse über die Übernahme der notwendigen Kosten, mehrere Gutachter müssen überzeugt werden, man muss ein Gerichtsverfahren anstrengen, um den Namen im Ausweis geändert zu bekommen, ... ... ... Es ist wirklich ein ungeheurer Stress! Im Nachhinein wundere ich mich, wie ich trotzdem noch nebenbei arbeiten, mich verlieben und neue Freundschaften schließen konnte. Die Transition kann tatsächlich zu einem Full-Time-Job werden. (Darin sehe ich auch ein bisschen die Gefahr, dass es auch eine Flucht vor dem unerträglichen Alltag sein kann, aus der man nachher uU. nicht mehr herauskommt. Ich finde in unserem System  wird man fast dazu gezwungen, es für eine gewisse Zeit zum zentralen Lebensinhalt zu machen.)

Ich hoffe ich kann Dir etwas helfen – und hoffe wirklich, dass Du den Kontakt zu Deiner Schwester wieder aufnehmen kannst.

Offline Johanna

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Re: Geschwister
« Antwort #3 am: 24.Jul 2009, 14:33 »
Gute fünf Monate später - ja, es war eine lange Zeit, aber für uns eigentlich keine ungewöhnlich lange -
Nachdem mein einer Bruder von meiner Transsexualität erfuhr, hat es fünf Wochen gedauert, bis er sich bei dir gemeldet hat. Meine Mutter war enttäuscht von ihm, dass er sich gerade in der Zeit, in der ich es am nötigsten hatte, nicht gemeldet hat. Ansonsten haben wir auch nicht so oft Kontakt miteinander.

Gerade die Zeit nach dem Coming Out ist die Zeit, in der man am meisten Bedarf nach Gesprächen hat. Und wie wer schon sagte, man wird übersensibel und nimmt Sachen übel, die gar nicht böse gemeint waren.

Zitat
Ich würde gern wissen, wie stark die psychologische Therapie sich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen des Betroffenen auswirkt.
Das Verhalten deiner Schwester kommt vom inneren Orkan ihrer Gefühle. Wie bei einem Vulkan, ist der Weg erst einmal frei, kommt alles raus. Es hat nichts mit der Psychotherapie zu tun, im Gegenteil, jene wirkt i. d. R. lindernd.

Zitat
Klar ist mir natürlich, daß gewisse Menschen auf der Strecke bleiben müssen, es ist eben notwendig, auch egoistisch zu sein.
Niemand muss auf der Strecke bleiben, aber zu einem gewissen Zeitpunkt wird das in Kauf genommen, um erst mal sein Inneres zu ordnen.
Zitat
Mir hat man eine psychologische Therapie im Falle von Transsexualität mal so erklärt, dass es notwendig ist, die unter all den Eindrücken des Lebens im falschen Körper entwickelten Verhaltensweisen und Charakterzüge zuerst abzulösen, um sozusagen die echte Person zum Vorschein zu bringen. Stimmt das?
Nein. Das habe ich nie so erlebt.

Liebe Emma,

investiere ruhig Zeit, um dich mit deiner Schwester zu arrangieren. Briefe, Telefonate, persönliche Treffen. Entschuldige dich ruhig für deine Achtlosigkeit, man darf sich auch für etwas entschuldigen, was nie böse gemeint war. Einfach häufiger mal melden, mind. einmal im Monat. Es lohnt sich. Wenn der soziale Rollenwechsel voranschreitet, wird es einfacher, da sich die inneren Gefühle wieder beruhigen. Und als Frau kannst du auch gerne genommene Tipps geben, z. B. Modeberater, Makeup-Berater u. Ä.. Z. B.mal gemeinsam Kleidung kaufen und dort Tipps geben, was deiner Schwester gut steht. Den Transsexuellen selbst fehlt gerade zu Anfang das Gespür, was ihnen steht, und so freuen sich, wenn ihre Transsexualität nicht nur akzeptiert wird, sondern auch mal positiv aufgenommen wird.

Gruß
Johanna

Offline tashina

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Re: Geschwister
« Antwort #4 am: 24.Jul 2009, 15:22 »
Hallo liebe Emma,

es sind schon so viele gute Gedanken und Hinweise aufgeschrieben worden. Trotzdem hoffe ich, dass Dir meine eigenen erfahrungen auch noch bissel Denkastoß sein können ...

Meine Therapie hatte unter vielen anderen Zielen ein Teilziel: dass ich mich überhaupt erst emotional anderen Menschen gegenüber öffnen lernte. Selber hatte ich mich zeitlebens sozusagen eingemauert - wollte niemanden an mich heranlassen, weil ich mich halt in meinem Umfeld nie traute, zu mir selbst zu stehen. Das führte dann dazu, dass ich sozusagen im Kontakt zu anderen Menschen überhaupt keine Emotionen zuließ oder heraus ließ. Trotzdem war ich kein Eigenbrötler, hatte also keine Kontaktängste oder Sozialphobien ... halt nur so ein "Roboter" ... In diesem Sinne war es also tatsächlich Bestandteil meiner Therapie, das durch meine TS bedingte falsche Verhalten abzulegen und zu lernen, wie bereichernd es ist, wenn Gefühle zum Tragen kommen.

Der Stellenwert der Transsexualität ... sie hat mich mein bisheriges Leben begleitet, ganz unscharf empfand ich schon als kleines Kind, das mit mir was nicht stimmte - aber ich wählte aus verschiedensten Ursachen zerst einmal die Verdrängung als Bewältigungsstrategie. Echte TS lässt sich aber nicht völlig verdrängen ... im Gegenteil, irgendwann muss eine Lösung herbei. Bei mir lief es zu Anfang noch so in einer Art Wellenbewegung ab - mal beherrschte mich die Suche nach der Lösung sehr stark - mal gab es eine Zeit vermeintlicher Ruhe ... Ziemlich spät - da war ich dann schon gegen Ende 30 hatte ich aber den ersten Zusammenbruch. Das war dann so einschneidend für mich, dass ich begann, mich nicht mehr mit Verdrängung still zu halten ... und das Thema TS - bich ich es wirklich oder nicht?, kann ich die Transition durchstehen?, usw. usf. - begann mich immer stärker zu beschäftigen. Es wurde dann mit Anfang 40 tatsächlich zu meinem wichtigsten Thema ... obwohl ich die Familie, den Beruf und all das Ganze drumherum mit versuchte in diese Lebensaufgabe zu integrieren ... so ziemlich alles habe ich in der Zeit der Transition fast immer aus dem Fokus meiner Geschlechtsanpassung bewertet. Nun nach etwa sechseinhalb Jahren, da ich so ziemlich durch bin, verliert sich das wieder etwas - aber ich bin mir ziemlich sicher, dass mich das Thema TS bis an mein Lebensende nicht verlässt. Aber der Stellenwert wird zunehmend geringer ...

Ich denke, so was ist normal und ich bin mir sicher, dass auch Deine Schwester nach der eigentlichen Transition wieder "beruhigen" wird  ;)

friedliche liebe Grüße
tashina
mitakuye oyasin